„MAN HAT VERZWEIFLUNG IN IHREN AUGEN GESEHEN“

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„Man hat Verzweiflung in ihren Augen gesehen“

Melanie Leupolz vom FC Chelsea über das Halbfinale in der Champions League gegen den FC Barcelona und den Rücktritt aus der Nationalmannschaft / Ein Interview von Frank Hellmann.

Frau Leupolz, Im Hinspiel der Champions League haben Sie mit dem FC Chelsea geschafft, was bei den Frauen eigentlich als unmöglich galt: den Titelverteidiger FC Barcelona mit 1:0 zu besiegen. Wie kam diese gute Ausgangsposition fürs Rückspiel (Samstag 18.30 Uhr/Dazn) zustande?

Dafür muss man ein bisschen zurückgehen: Nachdem wir vor drei Jahren im Champions-League-Finale gegen Barcelona bitterlich untergegangen sind (0:4, Anm. d. Red.), sind wir vergangenes Jahr im Halbfinale nur knapp ausgeschieden. Diesmal hat Emma (Trainerin Emma Hayes, Anm. d. Red.) für uns den perfekten Masterplan kreiert, der an dem Tag ideal gepasst hat. Wir wissen nur, dass es relativ wenig bringt, einmal zu gewinnen und dann trotzdem auszuscheiden.

Welcher Rahmen erwartet Sie jetzt an der Stamford Bridge?

Bisher sind schon mehr als 33 000 Tickets verkauft. Es hängen überall ums Stadion auch Plakate von uns. Es wird auf jede Kleinigkeit ankommen, um etwas ganz Großes zu schaffen. Das wäre der größte Traum von uns allen. Vor vier Jahren waren wir noch nicht richtig reif für dieses Finale.

Was ist entscheidend, um die spanischen Weltmeisterinnen, die ja den Kern des Gegners bilden, zu decodieren?

Wir wären mit unserer normalen Taktik nicht weit gekommen. Wir hatten eigentlich nur einen Tag, um alles zu besprechen. Nach der ersten Sitzung wollten wir noch ein weiteres Meeting, weil es noch offene Fragen gab. Dann haben wir es als Kollektiv geschafft, für überragende Spielerinnen wie Graham Hansen und Aitana Bonmati die Räume eng zu machen. Man hat wirklich Verzweiflung in ihren Augen gesehen.

Sie haben mit Sjoeke Nüsken den deutschen Mittelfeldblock gebildet: Wie sieht die Rollenverteilung aus?

Generell sind wir beide ja recht zweikampfstark – und genau das braucht man gegen Barcelona. Ich bin begeistert, wie Sjoeke ihre erste Saison hier absolviert. Sie hat auch schon offensives Mittelfeld oder Innenverteidigerin gespielt, hilft überall aus, wo es ein bisschen brennt. Wir sind unterschiedliche Spielerinnen: Sjoeke geht von ‚Box-to-Box‘, ich bin eher der ‚holding midfielder‘…

Klingt nach jener „Holding Six“ von Thomas Tuchel…

(lacht) Ja, zumindest von der Positionsbezeichnung her.

Chelsea schreibt mit den Männern keine Erfolgsgeschichte, während die Frauen das Champions-League-Finale und die Meisterschaft vor Augen haben. Steigert das die Wertschätzung?

Absolut. Zu unserer Delegation gehört immer jemand vom Gesamtverein. Profis von den Männern schauen bei uns zu oder unterstützen uns auf Social Media, aber es geht nicht darum, wer jetzt erfolgreicher ist.

Chelseas Erfolgsgeschichte bei den Frauen ist eng mit der erwähnten Emma Hayes verbunden. Bedauern Sie ein bisschen, dass ihre Teamchefin demnächst Nationaltrainerin der USA wird?

Unsere Beziehung war immer mit einer großen Wertschätzung verbunden. Sie sieht mich als Topspielerin und hat mir auch nach meiner Schwangerschaft schnell das Vertrauen wiedergegeben. Sie ist generell eine gute Leaderin. Natürlich ist ein weinendes Auge dabei, wenn sie jetzt in die USA geht, aber ich verstehe es natürlich, dass sie eine solche Position einnehmen möchte. Vielleicht auch, um mehr Zeit für ihren Sohn zu haben.

Ein gutes Stichwort: Inwieweit nimmt Ihr Sohn schon wahr, was die Mama macht?

Zur Person

Melanie Leupolz (30) stammt aus Wangen im Allgäu. Nach Stationen beim SC Freiburg und FC Bayern zog es die Mittelfeldspielerin 2020 zum FC Chelsea, wo sie noch einen Vertrag bis 2026 besitzt. Nach 79 Länderspielen trat sie nach der verkorksten WM 2023 aus dem Nationalteam zurück und begründete das damit, mehr Zeit für ihren im September 2022 geborenen Sohn haben zu wollen. Leupolz hatte in ihren Anfangszeiten bereits die letzten Titelgewinne der DFB-Frauen – EM-Sieg 2013 und Olympiagold 2016 – mitgemacht. hel

Er hat mich einmal im Fernsehen gesehen und war ein bisschen verwirrt (lacht). Nein, er kommt nicht mit ins Stadion. Die Champions-League-Spiele sind während seiner Schlafenszeit. So muss ich mir keine Sorgen machen, was er vielleicht im Stadion isst oder wer die Windeln wechselt. Er kommt auch nicht mit ins Training, weil er mittlerweile schon in die Kita geht.

Die Vereinbarkeit zwischen Mutterrolle und Profifußball war lange ein Problem im Frauenfußball. Das wird also gerade gut gelöst?

Im Verein wird immer gefragt, wann kommt er denn mal wieder, und ich muss mir Ausreden einfallen lassen. Sie stehen wirklich zu 100 Prozent dahinter. Das läuft wirklich deutlich besser als erwartet.

Es heißt von der deutschen Nationalmannschaft, dass bei der WM 2023 in Australien ihr damals erst neun Monate alter Sohn der einzige Lichtblick war.

Echt? So ein Kind bringt natürlich eine gewisse Leichtigkeit rein. Sein Lächeln kann einiges bewegen. Ein Turnier birgt ja die Gefahr, dass die Spielerinnen unter dem Druck verkrampfen.

So wie im WM-Quartier in Wyong, dessen Wahl im Rückblick ein ziemlicher Fehlgriff war. Haben Sie eigentlich ihre englischen Mitspielerinnen beneidet, die nicht weit weg im Badeort Terrigal waren?

Was ich gesehen habe, wirkte schon cool. Ich glaube, dass die Engländerinnen darauf mehr Wert legen. Bei uns war der Gedanke, einen ruhigen Rückzugsort zu haben, aber vielleicht hätte man den Spielerinnenrat mehr einbinden müssen: Wir sind nicht die Charaktere, die nichts haben wollen. Es hätte einfach gut getan, mal irgendwo einen Kaffee zu trinken oder spazieren zu gehen.

Heraus kam mit dem Vorrundenaus ein Tiefpunkt in der Geschichte der DFB-Frauen. Genau wie bei der WM 2019 in Frankreich hatten Sie nicht die Wertschätzung von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, die Sie sich gewünscht hatten. Hat das dazu beigetragen, dass Sie nach dem Turnier ihren Rücktritt erklärt haben?

Nicht unbedingt. Ich nutze einfach die Länderspielpausen, um Zeit mit meinem Sohn zu verbringen. Unsere Liga ist sehr intensiv, ich muss dann einfach auch mal durchatmen – und man wird ja auch nicht jünger. Vielleicht wäre mir der Rücktritt schwerer gefallen, wenn ich mehr Spielzeit gehabt hätte. Letzten Endes wäre es aber die gleiche Entscheidung gewesen.

Kommt Wehmut auf, wenn Sie bald die deutsche Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen sehen?

Wenn ich ein Spiele sehe, sicher: Wir haben damals in Brasilien 2016 Gold geholt. Das war eine tolle Erfahrung. Aber es gehört halt mehr dazu, als nur dieses Turnier zu bestreiten: Reisen, Lehrgänge und Hotelaufenthalte, die im Gesamtpaket für mich zu viel gewesen wären.

Gibt es einen Karriereplan? Ist eine Rückkehr in die Bundesliga noch denkbar?

Es ist schwierig, in unserem Sport richtige Pläne zu machen, weil sich vom einen auf den anderen Tag alles verändern kann. Mein Vertrag läuft noch zwei Jahre. Stand jetzt würde ich eine Rückkehr in die Bundesliga eher verneinen. Ich bin eher der Typ, der ein Kapitel beendet, um dann das nächste aufzuschlagen.

Was vermissen Sie am meisten an Deutschland?

(überlegt) Tatsächlich das Brot. Gerade die Brezeln aus Bayern (lacht). Und natürlich fehlt mir die Familie, das Umfeld, in dem man einfach so sein kann, wie man sein möchte, weil man als normaler Mensch gesehen wird.

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