BVB VOR RADIKALEM UMBRUCH: DIESE STARS SIND GEFäHRDET

Von Justin Kraft

Der BVB steht vor einem richtungsweisenden Sommer. Wie oft sind solche Sätze zu lesen, wenn es um einen Umbruch oder auch kleinere Veränderungen geht? Und wie oft wird das Wort "richtungsweisend" dabei viel zu inflationär verwendet?

Streng genommen ist jeder Sommer für jeden Klub richtungsweisend. Streng genommen kommen und gehen Krisen oft schneller, als es im Moment der Krise den Anschein macht. Und doch sind die kommenden Wochen und Monate von elementarer Bedeutung für Borussia Dortmund.

Mit Hans-Joachim Watzke geht nicht nur der langjährige Geschäftsführer des BVB, sondern auch das Gesicht aller Erfolge und Misserfolge in der jüngeren Vereinsgeschichte. Sein Abschied aus dem operativen Geschäft wird einer Zäsur gleichen.

Für einen letzten Knall sorgte der 64-Jährige allerdings: Nicht nur übernimmt Lars Ricken nach sukzessivem Aufstieg innerhalb des Klubs nun die Geschäftsführung, sondern es kehrt mit Sven Mislintat auch ein alter Bekannter zurück. Einer, dessen Verhältnis mit Sportdirektor Sebastian Kehl als belastet gilt. Doch jetzt müssen sie zusammenarbeiten und gemeinsam mit Ricken die sportlichen Weichen für die Zukunft stellen.

Dass Dortmund sich nicht nur deutlich kompetenter, sondern insgesamt auch breiter aufstellt, ist ein wichtiger und auch richtiger Schritt. Nun kommt aber der komplizierteste Teil: Wie viel Umbruch ist im und rund um den Kader nötig?

BVB vor Verjüngungskur?

Wie der "kicker" berichtet, will sich Borussia Dortmund verjüngen und auf das setzen, was den Klub Anfang und Mitte der 2010er Jahre zu einem der spannendsten Fußballprojekte Europas gemacht hat: Junge Spieler verpflichten, die noch kaum jemand auf dem Schirm hat und konsequent auf deren Entwicklung setzen.

Wenn der BVB ein Top-Talent wollte, hat er es oft bekommen. Die Perspektive, sich auf Champions-League-Niveau zu einem Weltstar zu entwickeln wie Jude Bellingham oder Erling Haaland, ist verlockend. Dortmund war auch zuvor für Spieler wie Ousmane Dembele oder Jadon Sancho ein hervorragendes Sprungbrett.

Doch irgendwann setzte innerhalb des Klubs die Meinung ein, dass man "Mentalitätsspieler" und Erfahrung brauche, um erfolgreich zu sein. Ein Irrglaube, der dazu führte, dass man vermeintlich fertige Spieler überbezahlte. Spielertypen zudem, die oft nicht richtig zueinander passten.

Hier müssen Ricken und Mislintat zuerst anpacken: Wofür soll Dortmund neben der Verjüngungskur fußballerisch stehen?

Wer muss Borussia Dortmund verlassen?

Unter den zehn Spielern, die 28 Jahre oder älter sind, befinden sich mit Emre Can (2.699), Niclas Füllkrug (2.914), Marcel Sabitzer (2.657) und Mats Hummels (2.519) vier Spieler, die mehr als 2.000 Minuten gesammelt haben. Marco Reus (1.937) und Niklas Süle (1.778) folgen.

Wirklich unumstritten ist unter ihnen niemand. Am ehesten hat noch Hummels nachgewiesen, dass er den Anspruch aus Führungsaufgaben und Leistung meistern kann. Auch Füllkrug, wenngleich er häufig in der Kritik stand, zeigte abseits von Statistiken ansprechende Leistungen als Wandspieler. Sabitzer blühte erst zuletzt richtig auf und benötigte nach seinem Wechsel vom FC Bayern reichlich Anlaufzeit.

Dennoch ist erwartbar, dass der BVB unter diesen zehn Spielern ausdünnen wird. Zu den Genannten kommen noch Marco Reus, Alexander Meyer, Sébastien Haller, Ramy Bensebaini und Marius Wolf hinzu. Rein sportlich könnte Dortmund auf einen Großteil dieser zehn Spieler verzichten, wenn man schaut, wie sehr sie jeweils dazu beigetragen haben, dass der BVB fußballerisch allenfalls durchschnittlich agiert.

Das technische Niveau, die Entscheidungsfindung in engen Situationen und auch die Spielgeschwindigkeit insgesamt ist mit Spielern wie Can oder Wolf nicht hoch genug für die Ansprüche der Dortmunder. Gleichzeitig ist auch klar, dass die Führung nicht den kompletten Kader einmal austauschen kann.

Das ist finanziell kaum darstellbar. Insofern wird es darauf hinauslaufen, den einen oder anderen Spieler aus der Kategorie abzugeben und bei anderen die Rolle innerhalb des Teams zu verändern.

BVB: Auch jüngere Spieler müssen zittern

Doch nicht nur die alten Hasen des Teams sollten sich unsicher fühlen. Wenn der BVB selbstkritisch genug ist und sich nicht vom Erfolg in der Champions League blenden lässt, werden auch einige jüngere Stammspieler hinterfragt werden müssen.

Nico Schlotterbeck hat immer wieder Phasen, in denen er über ein paar Wochen zeigt, warum er geholt wurde. Dann folgen allerdings Schwankungen in seiner Leistung. Die Innenverteidigung ist keine akute Baustelle der Dortmunder, muss aber Teil der Analyse sein. Selbiges gilt für Donyell Malen oder Karim Adeyemi. Von beiden ist der BVB in der Offensive sehr abhängig – und beide sind nicht in der Lage, konstant diese Rolle zu rechtfertigen.

Was Dortmund vor allem fehlt, ist eine stabile Achse. Keine Mentalitätsspieler oder Wortführer, sondern Leistungsträger. Bellingham beispielsweise war keiner, der so viel gestikuliert und gesprochen hat wie aktuell Can. Aber der Engländer traf immer gute Entscheidungen – individuell und für das Team. Er gab dem BVB Stabilität durch Leistung.

Solche Spieler muss die neue sportliche Führung finden. Mit dem Fokus auf Technik, Entscheidungsfindung und Entwicklungsfähigkeit, um dem Kader eine neue Note zu verpassen. Auf der Sechserposition sowie auf beiden Flügeln braucht es wieder Spieler, die den Unterschied machen können.

Im zentralen Mittelfeld sollte sich der BVB nach einem Spielgestalter umsehen, auf den Außenverteidigerpositionen werden nicht nur Zweikämpfer und Läufer benötigt, sondern Spielertypen wie Ian Maatsen: Spielintelligent und unter Druck anspielbar.

In den vergangenen Jahren wurden viele Spieler für 20 bis 30 Millionen Euro verpflichtet, die allenfalls durchschnittlich performen. Die Trefferquote war sehr gering. Gerade von Mislintat und seinem Netzwerk erhofft man sich in Dortmund nun wieder eine strukturiertere und effizientere Kaderplanung. Dass er das kann, hat er zuletzt unter anderem beim VfB Stuttgart unter Beweis gestellt.

Borussia Dortmund muss auch Terzic hinterfragen

Dortmunds größtes Problem ist, dass man sich in den vergangenen Jahren mit einem halbvollen Glas zufriedengegeben hat. Nach der Fast-Meisterschaft 2023 redete man sich mehr Qualität ein, als wirklich vorhanden war, die damals schon vorhandenen fußballerischen Limitationen wurden im Transferfenster nicht adressiert.

Auch Edin Terzic wird von der sportlichen Führung hinterfragt werden müssen. Dass er das Champions-League-Halbfinale erreicht hat, wird ihm intern genug Rückendeckung geben. Allerdings kann man mit der Entwicklung in dieser Saison kaum zufrieden sein. Dortmund hat keinerlei Identität auf dem Platz. Eine wirkliche Handschrift ist nicht zu erkennen.

Der Spielaufbau ist eintönig und von den meisten stärkeren Mannschaften leicht zu durchschauen. Offensiv gibt es kaum klare Muster. Mal steht man tief und hofft auf einen Geistesblitz beim Umschalten nach Ballgewinnen. In anderen Partien beißt man sich mit viel Ballbesitz die Zähne am tiefstehenden Gegner aus.

Ricken und Co. müssen bewusst anders agieren

Nun wäre es nicht richtig, all das auf Terzic abzuladen. Die Kaderpolitik trug ihren Teil dazu bei, dass der BVB in der Bundesliga überwiegend langweiligen und uninspirierten Fußball spielt. Gleichzeitig entsteht dennoch nicht der Eindruck, dass der 41-Jährige eine klare Vorstellung davon hat, wie Borussia Dortmund Fußball spielen soll – und wie er das umsetzen kann.

Dass es in nahezu allen Mannschaftsteilen und auch auf der Trainerbank Gründe dafür gibt, Veränderungen vorzunehmen, macht die Aufgabe für Ricken, Mislintat und Kehl nicht einfacher. Sie müssen nun genau abwägen, wo sie zuerst ansetzen.

Der neue BVB könnte ein Projekt werden, das sich über mehrere Jahre hinweg entwickeln muss. Mit Geduld und den richtigen Ideen ist der neuen Führung aber zuzutrauen, dass sie wegkommen von der Art Entscheidungen, die den Klub in den letzten Jahren ausgebremst haben. Es braucht jetzt frischen Wind. Man muss bewusst andere Wege einschlagen.

Und dann könnte der richtungsweisende Sommer womöglich ein erster wichtiger Schritt dahin werden, bald wieder eines der spannendsten Fußballprojekte Europas zu sein.

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