NENAD BJELICA, TRAINER VOM 1. FC UNION BERLIN: „ICH HäTTE MEINE ENTLASSUNG VERSTEHEN KöNNEN“

Vor fünf Monaten übernahm Nenad Bjelica das Traineramt beim 1. FC Union Berlin. Die Mannschaft hat er zwischenzeitlich stabilisiert, um vor der Partie gegen den FC Bayern am Sonnabend (18.30 Uhr, Stadion An der Alten Försterei) nun doch wieder mitten im Abstiegskampf zu stecken.

Persönlich hat er es sich mit seiner Unsportlichkeit beim Hinspiel in München und anschließender Sperre durch das DFB-Sportgericht unnötig schwer gemacht. Und dann sind da noch die übergroßen Fußstapfen seines Vorgängers, in die er nebenbei hineinwachsen muss.

Berliner Zeitung: Herr Bjelica, spätestens seit dem vergangenen Wochenende ist die Situation für den 1. FC Union Berlin im Abstiegskampf wieder unangenehm geworden. Wie blicken Sie mit ein paar Tagen Abstand auf die Pleite in Augsburg zurück?

Nenad Bjelica (52): Wir haben die Niederlage zwar verdaut, aber ein bitterer Geschmack ist geblieben, weil wir im Spiel gesehen haben, dass deutlich mehr möglich war. Aufgrund der ersten Halbzeit hatten wir mehr verdient, aber mit individuellen Fehlern haben wir Geschenke an den Gegner verteilt. Wir haben das aber akzeptiert und richten unseren Fokus jetzt voll und ganz auf die Aufgabe gegen Bayern.

Sie sind nun seit fünf Monaten in Berlin. Wie haben Sie sich unabhängig vom sportlichen Geschehen in der Stadt eingelebt?

In den ersten beiden Monaten habe ich noch im Hotel in Köpenick gewohnt. Mittlerweile habe ich in Mitte eine schöne Wohnung gefunden, ganz in der Nähe vom Brandenburger Tor. Meine Familie und ich fühlen uns wohl in der Stadt. Nicht nur meine Frau, sondern auch meine beiden Söhne sind mitgekommen und bei der Eingewöhnung hat es uns sicherlich geholfen, dass wir Berlin schon ein wenig kannten.

Woher?

Als ich Trainer bei Lech Posen war (2016-2018; Anm. d. Red.) haben wir freie Tage oder Wochenenden öfter genutzt, um Berlin zu besuchen. Es ist eine Weltstadt, hier findet man alles, was man braucht. Es gibt so viele Angebote für jeden, auch wenn einem leider oft die Zeit fehlt alles so zu nutzen, wie man es gerne würde.

Wie verbringen Sie ihre Zeit denn, wenn sie gerade nicht mit Ihren Spielern auf dem Trainingsplatz stehen?

In erster Linie mit der Familie, die mir Rückhalt gibt und die für mich das Wichtigste ist. Wir haben einen Labrador, Rocky Balboa, der im September neun Jahre alt wird und uns natürlich viel beschäftigt. Wir haben ihn damals während meiner Zeit als Trainer bei Spezia Calcio in Italien bekommen. Seitdem war er bei jeder Station dabei, in Polen, der Türkei, in Kroatien sowieso. Eigentlich also ein internationaler Hund (lacht).

Ist es bei Union das erste Mal der Fall, dass ihre Familie den Umzug in ein anderes Land mitgemacht hat?

Als ich in der vergangenen Saison Trainer bei Trabzonspor war, haben wir es das erste Mal so gemacht. Bis vor zwei Jahren ist mein jüngerer Sohn noch zur Schule gegangen, da haben wir uns dafür entschieden, dass meine Frau mit den Kindern in Klagenfurt bleibt. Danach, das war uns aber vorher schon klar, wollten wir als Familie wieder zusammen sein.

Fernab der Familie bleibt aber offenbar doch auch immer wieder Zeit für andere Aktivitäten. Vor zwei Wochen waren Sie beispielsweise beim Spiel der Basketballer von Alba Berlin gegen Belgrad.

Das stimmt. Ich liebe Sport, interessiere mich sehr dafür und Spiele auf diesem Niveau kann man nicht jeden Tag sehen. Ich gehe aber mindestens genauso gerne zu Fußballspielen in unterklassigen Ligen und verbringe viel Zeit auf Sportplätzen oder in Sporthallen – fast egal, welche Sportart.

Herr Bjelica, das klingt alles sehr harmonisch. Um ehrlich zu sein, war Ihr Start hier aber alles andere als leicht und unbeschwert. Sie haben Union auf einem Abstiegsplatz nach einer ewigen Niederlagenserie übernommen und dann haben Sie sich in München einen Aussetzer erlaubt.

Ich bereue diese Unsportlichkeit gegen Leroy Sané, und mir hätte das zweifellos nicht passieren dürfen. In den Tagen danach habe ich mich ein wenig zurückgezogen und versucht, Abstand zu dem zu gewinnen, was an diesem Abend passiert ist. Speziell in solch unangenehmen Situationen wächst man aber als Mensch, und darüber hinaus habe ich noch etwas bemerkt.

Was denn?

In guten Zeiten hat man eintausend Freunde, die zu einem halten und sich mit dir freuen. In so einer Situation hat man dagegen nur noch wenige Menschen, die zu einem stehen.

Präsident Dirk Zingler war einer von denen, der sich hinter Sie gestellt und nicht im Stich gelassen haben. Sie durften Trainer bleiben, obwohl Sie vom DFB-Sportgericht für drei Spiele gesperrt wurden.

Der Druck von außen war in diesen Tagen sehr hoch. Wenn die Strafe drastischer ausgefallen wäre, hätte der Verein möglicherweise anders reagiert. Und ganz ehrlich…

Ja?

Ich hätte meine Entlassung auch verstehen können. Wenn einer Mannschaft mitten im Abstiegskampf plötzlich der Trainer genommen wird, ist das alles andere als einfach. Seit dieser Aktion ist es mir umso wichtiger, das Vertrauen, das der Verein in mich gesetzt hat, zurückzuzahlen. Das versuche ich nicht über Sympathie, sondern über harte Arbeit gemeinsam mit der Mannschaft auf dem Platz.

Trotzdem wirken Sie seit ihrer Rückkehr nach der Sperre etwas lockerer, gerade im Umgang mit den Medien. Am Anfang hat man Sie selten lächeln sehen. Täuscht dieser Eindruck?

Sie müssen sehen, dass ich in einer Situation zu Union gekommen bin, in der der Verein in einer sehr großen Krise gesteckt hat. Da gab es leider nicht allzu viel zu lachen und ich habe mich darauf konzentriert, in möglichst kurzer Zeit die Probleme zu erkennen, die den Verein in diesen Zustand gebracht haben. Die einzige Frage, die sich mir in dieser Zeit gestellt hat, war die nach den Entscheidungen, die ich als Trainer treffen muss, um die Situation ändern zu können.

Was waren denn die Probleme?

Man musste die Mannschaft aufwecken und von der Wolke ‚Champions League‘, die über allem geschwebt hat, runterholen. Alles war sehr locker im Umgang miteinander, aber das hat nicht zur sportlichen Situation gepasst, in der wir uns in der Realität befunden haben. Dann ging es darum, harte Wahrheiten anzusprechen – das habe ich gemacht, auch wenn die Wahrheit manchmal leider sehr weh tut. Und ich glaube - so merkwürdig es klingt - dass die Situation in München der Mannschaft auch geholfen hat.

Das müssen Sie erklären.

Persönlich hat mir diese Unsportlichkeit zweifellos geschadet, aber ich habe das Gefühl, dass die Mannschaft in den Wochen danach auf dem Platz homogener gewirkt hat, noch enger zusammengerückt ist und sich gegen Widerstände, egal von wo sie gekommen sind, besser gewehrt hat.

Nach all den Problemen zum Start wirken Sie trotz erneut sportlich angespannter Situation nicht nur lockerer, sondern werden auch von den Fans mehr und mehr akzeptiert. Ist es Ihnen wichtig, beliebt zu sein?

Es war klar, dass ich als Nachfolger von Urs Fischer ein ganz schwieriges Erbe antreten werde. Er hat hier in all den Jahren mit seinem Team Unglaubliches geleistet. Jeder Trainer hätte es schwer gehabt, in seine Fußstapfen zu treten, auch José Mourinho oder Carlo Ancelotti. Und ich, der auf dem deutschen Markt noch völlig unbekannt war, hatte es dann natürlich auch nicht einfach. Ich habe aber nie versucht, Urs Fischer nachzuahmen oder in irgendeiner Weise zu kopieren, sondern wollte nur meine Arbeit machen. Ich bin mir sicher, dass die Fans diese harte Arbeit honorieren und man darüber Vertrauen gewinnt. Und das ist am Ende wichtiger als Beliebtheit.

Hatten Sie denn in den fünf Monaten, in denen Sie hier sind, mal Kontakt zu Fischer?

Bislang noch nicht, weil ich mir mein eigenes Bild von den Spielern machen wollte. Ich hoffe aber, dass ich ihn nach unserem letzten Spiel am Saisonende anrufen kann, um mich bei ihm zu bedanken, dass er uns geholfen hat, den Klassenerhalt zu schaffen. Er hat diese Mannschaft mit aufgebaut und wenn wir die Liga halten ist das ganz genauso sein Verdienst.

Wie wichtig ist Ihnen bei Ihrer Arbeit der Faktor Kommunikation? Sie sprechen insgesamt sieben Sprachen.

Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen möchte ich mich in dem Land, in dem ich gerade arbeite und damit auch mit einem Großteil der Spieler verständigen können. Und zweitens möchte ich auch meinem Arbeitgeber Respekt zeigen, weil sie spüren sollen, dass ich mich bemühe und alles gebe, selbst wenn ich Fehler mache. Ich bin nicht bloß hier, um Geld zu verdienen und in einer schönen Stadt zu arbeiten, sondern ich möchte dafür auch etwas leisten.

Fällt es Ihnen denn leicht, neue Sprachen zu lernen?

Schwer zu sagen, das hängt ziemlich von der Sprache ab. Englisch und Französisch hatte ich schon in der Schule. In Frankreich habe ich aber nie gearbeitet, sodass ich in all den Jahren auch einiges vergessen habe. Türkisch zu lernen war nicht leicht für mich und ich merke, dass es mir mit zunehmendem Alter generell schwerer fällt. Meine Söhne sind da fitter, deren Gehirn arbeitet noch etwas schneller (lacht).

Sprechen die denn auch so viele Sprachen wie Sie?

Ja, meine Frau ganz genauso. Und das Besondere ist in dem Zusammenhang auch, dass für meinen jüngeren Sohn die Muttersprache Deutsch ist. Er ist während meiner Zeit als Spieler beim 1. FC Kaiserslautern in Homburg geboren, hat sein gesamtes Leben eigentlich nur in Deutschland und Österreich verbracht. Sie merken: Sprachen sind ein wichtiges Thema in unserer Familie.

Viel gesprochen wurde zuletzt auch über Ihre Trainingsmethoden. Das Fachmagazin „kicker“ schrieb, Sie würden kaum Videoanalysen machen und versah den Artikel mit der Überschrift „Uralte Schule“.

Ich bin ein Verfechter der alten Schule, wenn man beispielsweise über die Disziplin oder den Umgang mit den Spielern spricht. Generell sehe ich mich aber viel eher als jemand, der viele Elemente nutzt und auf dem Fußballplatz modern denkt. Meine Trainingseinheiten sind immer mit Ball und spielorientiert. Richtig ist, dass ich kein Trainer bin, der die meiste Zeit am Computer verbringt und sich ständig mit Datenanalyse beschäftigt. Dafür bin ich nicht zu begeistern, weil ich der Meinung bin, dass man die Spieler nicht überfrachten sollte.

Finden Sie, dass in Deutschland zu schnell und zu oft in Kategorien gedacht wird und Menschen danach beurteilt werden?

Die Medien analysieren meiner Ansicht nach oft zu oberflächlich, ohne zu wissen, wie jemand wirklich ist und wie er arbeitet. Manche Journalisten kommen nicht zum Training und bilden sich trotzdem ihre Meinung. Das ist aber nicht nur in Deutschland so, sondern auch in anderen Ländern.

Leipzigs Dani Olmo, einer der Stars in der Bundesliga, hat über Sie gesagt, sie seien „einer der besten Trainer und Menschen“, die er im Profifußball getroffen hat. Macht Sie das stolz?

Das bedeutet mir viel, wenn ein Weltklasse-Fußballer so etwas sagt. Ich habe vom ersten Tag an bei Dinamo Zagreb gesehen, dass er kaum Grenzen in seiner Entwicklung hat und versucht, ihn darin zu bestärken. Besonders schön ist, dass er das gerade erst neulich gesagt hat, zu einer Zeit, wo er kein persönliches Interesse daran hatte, sich durch diese Aussage etwas zu erhoffen.

Wann war Ihnen klar, dass Sie als Trainer im Profifußball arbeiten möchten?

Ich habe früh verstanden, dass Teamführung wichtiger ist als jedes Training oder jede taktische Ausrichtung. Ein Spielsystem holt keine Punkte, Teamspirit ist das, was eine Mannschaft nach vorne bringt. Als ich das verstanden hatte, ist diese Idee mehr und mehr gereift. Jeder Fan oder Zuschauer könnte eine Trainingseinheit abhalten, aber nicht jeder kann ein Team mit 25 Leuten führen. Und an genau dieser Stelle gibt es die größten Unterschiede zwischen verschiedenen Trainern. Ich stelle aber auch fest, dass die Trainer in der heutigen Zeit in Sachen Menschenführung sehr fortschrittlich arbeiten.

Woran machen Sie das fest?

Mit der heutigen Spielergeneration wäre das anders gar nicht möglich. Die Profis sind sehr sensibel und in Deutschland ist das noch ausgeprägter als anderswo. Ich gebe Ihnen ein Beispiel dafür.

Erzählen Sie.

In den fünf Monaten, in denen ich jetzt bei Union bin, habe ich sicherlich schon mit 15 Spielern auf deren Wunsch Einzelgespräche geführt. Sie wollten wissen, warum sie nicht spielen, was sie besser oder anders machen müssen. In Kroatien hatte ich diesen Fall vielleicht zweimal in fünf Jahren, in Italien oder Polen kann ich mich gar nicht daran erinnern. Die Spieler hier hinterfragen Entscheidungen. Auch an diese offene, liberale Kultur musste ich mich erst gewöhnen.

Auffällig ist, dass die Spieler bei Ihnen Gehör zu finden scheinen. Fast jeder Profi im Kader hat unter Ihrer Regie schon die Chance bekommen, sich in der Startaufstellung zu zeigen.

Du kannst einem Spieler erzählen, was du willst, aber wenn du deine Worte nicht einhältst, dann ist das am Ende völlig umsonst. Ich glaube, ich habe bewiesen, dass bei mir jeder Einzelne die Gelegenheit bekommt, sich zu präsentieren. Lucas Tousart stand beispielsweise über Wochen nicht im Kader, spielt mittlerweile ständig von Anfang an.

Bei Ihrer Vorstellung haben Sie gesagt, dass Sie als Trainer ein „Soldat des Vereins“ sind. Wie viel ganz persönliches Interesse steckt denn im Job bei Union?

Es war schon seit langer Zeit mein Traum, in einer der Top-5-Ligen Europas als Trainer zu arbeiten. Nach 16 Jahren habe ich es geschafft, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass es vielleicht schon früher klappt. Das Zitat, das Sie ansprechen, basiert eher darauf, dass ich zeigen wollte, die Bereitschaft zu haben, mich an die Strategie und Ausrichtung des Vereins anzupassen. Ich kann als Trainer nicht zu einem Verein kommen und all meine Wünsche und Ideen durchsetzen, so funktioniert es nicht.

Herr Bjelica, zum Abschluss die vermutlich wichtigste Frage hinsichtlich der sportlichen Perspektive: Sind Sie mit Beginn der neuen Saison noch Trainer des 1. FC Union Berlin?

Das hoffe ich sehr. Es wäre ein großer Wunsch von mir.

Das Interview führte Nils Malzahn, Lead-Redakteur Sport bei der Berliner Zeitung.

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