BAYERN MüNCHEN: AUFGEPASST, IHR MINIMALMAULWüRFE!

Der FC Bayern München fühlt sich um einen Sieg betrogen. Ja, doof. Auch das wäre dem Gegner nicht passiert.

Von Saul Bellow, einem der vornehmsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, stammt der Satz: "Wenn ich mich zwischen Beschwerde und Komödie entscheiden muss, entscheide ich mich für die Komödie." Das ist ein lebenspraktischer, überaus nützlicher Satz, und er gilt nicht nur im Feuilleton, wo wir ihn selbstredend jeden Tag in feinstem Garn und mit Herzchen auf den i-Punkten auf unsere Einstecktücher sticken – er gilt auch in leistungsorientierteren Geistesgegenden. Zum Beispiel im Fußball.

Wie man hört, hat dort nun der FC Bayern München gegen Real Madrid im Halbfinale der Champions League verloren, und vorher, kurz vor Spielende, bereits Nachspielzeit, ist Folgendes passiert: Der Schiedsrichter hat eine Strafraumszene des FC Bayern vorschnell wegen Abseits abgepfiffen, obwohl die Szene noch nicht zu Ende gespielt wurde, wie es die Regel möchte. Nach dem Abseitspfiff fiel ein Tor, das dann nicht mehr galt und das auch nicht mehr von den sicherlich freundlichen Lemuren im Videoüberwachungskeller überprüft werden konnte, weil das die Regel auch so möchte. Der Schiedsrichter war plötzlich wieder der Herrscher des Spiels, der er zuvor Jahrzehnte gewesen war, die instrumentelle Vernunft des VAR mit einem Pfiff erledigt und der FC Bayern mehr als wütend, inklusive seines Trainers Thomas Tuchel, der sonst oft wirkt, als sei er nur zu ungefähr 68 Prozent sicher, mit dem Spielgeschehen etwas zu tun zu haben.

Seither liest man viel darüber, wie der FC Bayern sich um ein Tor betrogen fühlt, bereits nach Abpfiff im Schweißdampfbad der Mixedzone, auf der Pressekonferenz mit Staunässe unter den Augen und wo auch sonst der Bayern-Manager Max Eberl diesen Satz sagen konnte: "Alle waren für ein deutsches Finale. Nur die polnischen Schiedsrichter nicht." Nun muss man das Wort "Alle" nicht nur im Madrider Bernabéu-Stadion großzügig auslegen, damit Max Eberl recht hat. Und man muss auch vielleicht gar nicht darauf hinweisen, dass bisher ungeklärt ist, ob das Tor überhaupt gezählt hätte, uns fehlt leider die Ausrüstung, es persönlich zu überprüfen. Wir haben nicht einmal ein Headset, sondern nur ein Wählscheibentelefon aus Bakelit. Ähnlich wie manche Boulevardmedien mit neurotischem Nationalbezug ("Wieder sind die Deutschen die Gelackmeierten") wütete trotzdem Thomas Tuchel im Anschluss ans Spiel: "Das wäre auf der anderen Seite nicht passiert!"

Da können wir ihm nur recht geben, falls er meint, Real wäre bei umgekehrtem Ausgang mental nicht ähnlich aus der Fassung geraten. Roberto Carlos, Real-Madrid-Legende und ehedem der beste Linksverteidiger der Welt, beschrieb den Kodex seines Vereins so: "Verliert man, gratuliert man. Gewinnt man, genießt man es." Jorge Valdano, ein ehemaliger Trainer des Vereins, hat einst das Blaue Buch verfasst, das jeder Spieler bekommt. Darin soll unter anderem stehen, es sei verpönt, sich hinterher über den Schiedsrichter zu beschweren. Und wer es unhöflich findet, dass Real Madrid traditionell sehr spät Ausgleichs- und Siegtore schießt, der sollte wissen, dass es viel höflicher ist, den anderen erst einmal seine Dinge eine Weile machen zu lassen, bevor man korrigierend eingreift, statt ihn sofort mit der eigenen Grandiosität zu planieren.

Immerhin: Bayerns Torwart Manuel Neuer, unter anderem weltberühmt für seinen Reklamierarm, hat seinen sogenannten folgenschweren Patzer, der zum Ausgleichstreffer führte, so erklärt: "Ich muss sagen, dass ich den Ball anders erwartet habe, eher Richtung Brustkorb. Der ist dann einen Tick höher gegangen und damit habe ich nicht gerechnet, dass da ein minimaler Maulwurf drin war in dem Platz." Mit Minimalmaulwürfen hatten wir bisher leider noch nichts zu tun. Aber es klingt schon eher nach Komödie, auch im Saul Bellowschen Sinn. Vielleicht ist der FC Bayern nicht ganz verloren.

2024-05-09T15:59:10Z dg43tfdfdgfd